Adresse: B.H.18. Bad Kösen, postlagernd.
Im Brief: 1.Ansichtskarte: Dessau Herzogl. Schloß u. Mühle, von der Mulde aus gesehen.
Verlag: Franz Zabel, Dessau.
2. Ansichtskarte: Parseval – Luftschiff. Reinh. Jacob, Bitterfeld.
Poststempel: LEIPZIG 17 29.4.14. 6-7N
(Mittwoch)
Mein Trudelchen, L. d. 29.4.14.
nun sind wir wieder zurück von Dessau, und in einer Stunde schon fährt der Zug nach Dresden. ¼ 9 bin ich wieder dort. Jetzt habe ich mich auf meiner Wohnung etwas ausgeruht und will meinem lieben Herzelein noch einen Gruß schicken. Heut war für uns ein recht heißer und ermüdender Tag. Wir haben die großen elektrischen Kraftwerke Muldenstein und Marke besichtigt und sind dann mit der elektrischen Bahn nach Dessau gefahren, sind aber schon nach 15 Minuten zurückgefahren, so daß wir von der Stadt und seiner Umgebung gar nichts gesehen haben. Auch in Bitterfeld war nichts los. Aber auf der Rückfahrt nach Leipzig kreuzte über uns das große neue Schütte-Lanz-Luftschiff, das dem Zeppelin sehr ähnlich sieht. -
Liebes Herze, auf meiner Wohnung ist mir jetzt ohne Dich ganz sonderbar zu Mute; ich fühle mich furchtbar einsam. Drum fahre ich nachher gern weg und würde mich freuen, in Dresden einen Gruß von Dir vorzufinden. - Für morgen eine recht frohe Maifeier! Ich werde, so gut es geht, in Gedanken mit Dir feiern. - Es wird sicher sehr schön werden, daß Du gar nicht gern nach L. kommst. Aber ich kann das Wiedersehen kaum erwarten. Tausend und einen Kuß. Kurt.
Adresse: Fräulein Gertrud Quilitzsch Leipzig Waldstrasse
59.
Poststempel: FELDPOSTEXPEDITION DER 40.
INFANTRIE-DIVISION 10.11.14.
10-11V
(Montag)
9.XI.14.
Mein geliebtes Trudelchen,
als wir gestern Nacht spät von der Ablösung aus dem Schützengraben nach dem Bauernhaus zurückkehrten, fanden wir nach einwöchiger Pause endlich wieder Post aus der Heimat vor, und fast vergessen war der schmerzvolle Eindruck des letzten Tages. Von Dir allein, mein Liebling, waren 3 Paketchen dabei. Wie habe ich mich gefreut, nach so langen Stunden wieder einen Gruss von Dir hören. Ich sage Dir herzinnigen Dank für die Süssigkeiten. Sie werden mir, wenn wir heute Nacht wieder nach den Schützengräben hinausziehen, recht gute Dienste leisten. Mein Schokoladenvorrat war schon aufgebraucht, da hat mein Herzelein mir wieder geholfen. Wir leben da draussen von Brot und kalten Konserven, dazu Kaffee und Chokolade und einer Cigarre zum Nachtisch. Die dürfen nie ausgehen. So lange sie vorhanden, können wir alles ertragen. Aber wie furchtbar war der 6. November für unsere Kompagnie. Wir lagen den Engländern auf 200m gegenüber und mussten angreifen. Diesmal ging der von Leutnant Holz geführte Zug der Kompagnie zuerst vor und verlor 32 Tote und 23 Verwundete, auch Holz fiel, so dass vom ganzen Zug nur wenige übrig blieben. Der Erfolg war aber der, dass wir bis auf 100m an die Befestigungen der Engländer herankamen. Nun liegen wir ihnen ganz nahe gegenüber und bauen uns feste ein. Man darf nicht die Nase über den Schützengraben erheben, da pfeift es um die Ohren, das einem Hören und Sehen vergeht. Einmal ging ein Geschoss, als ich gerade beobachtete und etwas zu weit hervorsah, so dicht an meinem rechten Ohr vorbei, dass mir die rechte Gesichtshälfte den ganzen Tag gebrannt hat und das Ohrensausen noch immer nicht aufgehört hat. Nur mit grösster Vorsicht konnte man durch die Schiessscharten sehen und einzelne Engländer, die sich etwas hervor wagten, abschiessen! Ich habe selbst einen erwischt. Schliesslich waren wir froh, als die Ablösung kam. Aber sofort bekamen wir wieder tolles Feuer, so dass wir nur ganz gebückt aus unserem Graben gehen konnten. Im Bauernhaus war Feuer im kleinen Ofen, so dass man die ausgefrorenen Glieder erwärmen konnte. Warmes Essen aus der Feldküche gab es auch, sogar Sekt und englisches Bier hatte der Feldwebel mitgebracht. Wir sassen noch ein Stündchen beisammen, gedachten der gefallenen Kameraden und lasen die Grüsse aus der Heimat. Dann aber übermannte uns der Schlaf. Denke Dir, seit langen, langen Tagen haben wir auf einer alten Matratze einmal ausschlafen dürfen! Es wurde aber auch die höchste Zeit, dass wir uns am Morgen wieder fertig machten. Denn die feindliche schwere Artillerie machte sich auf einmal bemerkbar und schien es auf unser Haus abgesehen zu haben. Da schlug auch schon eine mächtige Granate in das Nachbargut, die nächste auf die Wiese an unserem Haus, wo wir paar Kameraden beerdigen wollten. Wir rissen schleunigst aus und zogen nach unseren Erdlöchern, wo wir gewöhnlich in Reserve liegen. Die nächsten 3 Granaten schlugen in das Gehöft und machten unser seit 3 Wochen bezogenes Heim zu einem Trümmerhaufen, aber nur 3 Mann sind dabei getötet worden. Jetzt erzähle ich dies meinem Herzensliebling aus dem Lehmloche. Es ist schon duster und kühl. Und doch müssen wir heute Abend wieder vor in den Schützengraben um unsere Kameraden abzulösen. Wenn es doch heute Nacht ruhig ist und ich – ganz dicht in meinen Mantel und meine Zeltplane gehüllt – horche und wache, greife ich nach dem Bild an meiner Brust und denke an mein fernes Lieb, wie es so treu und herzlich meiner gedenkt und für mich Gebete zum Himmel schickt. Aber erst kommt heute Abend wieder der Feldwebel und wird mir meine Grüsse von meinem Trudelchen bringen. Dann aber hinaus in die Nacht und dem Feinde entgegen! Gott mit uns! Jetzt ist es ganz dunkel geworden, dass ich gar nicht mehr sehe, was ich schreibe. Links da drüben aber blitzen die Granaten und donnern die Kanonen furchtbare Vernichtung. Gute Nacht, mein Engel! Ich küsse Dich treu und herzlichst. Dein Kurt.